Einladung zum Expertengespräch an Vertreter von Politik, Verbänden, Vereinen und Medien am 17. Juli 2012 in Berlin

Hamburg, 12. Juli 2012 – Am 17. Juli findet in Berlin der Sicherheitsgipfel des DFB statt, zu dem die Präsidenten der oberen drei Ligen und der Bundesminister des Inneren, Dr. Hans-Peter Friedrich, erwartet werden. Der Titel des Gipfels lautet „Für Fußball – Gegen Gewalt“. In einem nur für wenige Stunden anberaumten Treffen wollen die Vereinsvertreter über Maßnahmen beraten und beschließen, die zur „Befriedung“ der Stadien führen sollen.

Die Fanorganisationen ProFans und die IG Unsere Kurve, die Arbeitsgemeinschaft der Fananwälte und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte befürchten, dass dieses Treffen dazu führen könnte, Maßnahmen ins Leben zu rufen, die einerseits eine weitere Distanzierung zwischen den Vereinen und Verbänden auf der einen und den Fans auf der anderen Seite mit sich bringt, andererseits die pauschale Kriminalisierung der Fans und die Verstärkung von Kollektivstrafen fördert. Die Abschaffung von Stehplätzen lehnen die genannten Fanorganisationen geschlossen ab und sehen darin auch kein Mittel zur Verbesserung der angespannten Situation. Gerade in den Medien und der Politik mehrten sich in den vergangenen Wochen und Monaten die Stimmen, die noch drastischere Maßnahmen fordern. Die öffentliche Gleichsetzung von Pyrotechnik und Platzstürmungen mit Gewalttaten setzt den DFB zunehmend unter Druck und Handlungszwang. Zeit und Raum für einen konstruktiven Dialog fehlen dadurch und verhindern eine dringend notwendige Versachlichung der Diskussion. „Bereits im Januar gab es nach dem Fankongress in Berlin die Forderung, endlich dauerhaft auf Augenhöhe miteinander zu sprechen, nicht nur über das Thema Pyrotechnik“, sagt Philipp Markhardt, Sprecher von ProFans. „Doch leider hat sich in diese Richtung nichts bewegt, um die berechtigten Interessen der Fans bei der Suche nach Problemlösungen zu berücksichtigen.“

Deshalb laden die vier genannten Unterzeichner interessierte Vertreter der Politik, der Verbände, der Vereine und der Medien am Dienstag, den 17. Juli 2012, ab 13 Uhr in das Hotel Palace Berlin, Raum Burgund III, Budapester Straße 45 ein. Die Räumlichkeiten befinden sich in unmittelbarer Nähe des Hotels Interkontinental.

„Unsere Türen stehen offen, um mit uns über eigene Ideen und Konzepte zu sprechen“, verspricht Jakob Falk von ProFans. Robert Pohl von der IG Unsere Kurve ergänzt: „Innerhalb der Fanszenen werden die aktuellen Entwicklungen sehr aufgeregt, kontrovers und intensiv diskutiert, weswegen kein Weg daran vorbeigeht, gemeinsame Lösungen zu finden, die von einer breiten Masse auch akzeptiert und getragen werden.“ „Die sozialpädagogischen Fanprojekte begrüßen dieses Gesprächsangebot der Fans außerordentlich. Wir erwarten eine positive Resonanz von politischen Entscheidungsträgern, Medien und insbesondere Vereinen sowie Verbänden“, erläutert Thomas Beckmann, Sprecher der BAG-Fanprojekte die Hintergründe für die BAG-Unterstützung dieser Einladung.

Über einen Prozess der Selbstreflexion haben Fußballfans nun eigene Positionen und Ideen zusammengetragen, über die bisher jedoch offiziell mit Funktionären noch nicht gesprochen werden konnte. Am Rande des Sicherheitsgipfels haben Sie nun die Gelegenheit, sich diese Vorstellungen anzuhören. Wir würden uns über Ihr Interesse und Ihre Anwesenheit sehr freuen. Sprechen Sie uns gern auch im Vorfeld bereits an. Die Kontaktdaten unserer Ansprechpartner finden sie nachfolgend aufgelistet.

Expertengespräch zum Sicherheitsgipfel in Berlin
17. Juli 2012 ab 13 Uhr

Hotel Palace Berlin, Raum Burgund III, Budapester Straße 45

ProFans
Philipp Markhardt (Hamburg)
Telefon 0152 540 288 41
Mail: hamburg1887@hotmail.com

IG Unsere Kurve
Robert Pohl (Dresden)
Telefon 0172 377 48 57
Mail: robertpohl@gmx.de

Arbeitsgemeinschaft Fananwälte
Rene Lau (Berlin)
Telefon 0177 316 71 21
Mail: r.lau@lau-meyer.de

BAG der Fanprojekte
Thomas Beckmann (Mainz)
Telefon 0162 407 04 03
Mail: thomas.beckmann@bag-fanprojekte.de

Berlin, 27. Juni 2012 – Pünktlich zur Planungsphase der neuen Saison fordert ProFans mehr Freiheiten im Umgang mit Fanutensilien. Die bei ProFans organisierten Gruppen verfolgen mit Besorgnis, dass immer mehr Vereine in Deutschland grundlegende Fanutensilien – insbesondere für Gästefans – nur noch gegen die Abgabe von Personalien während des Spiels gestatten. Konkret geht es um Materialien wie Megafone, Trommeln, Schwenk- und Zaunfahnen. Offensichtlich soll mit solchen Maßnahmen ein höherer Grad an Selbstregulierung in den Gästeblöcken erreicht werden.

Das Thema „Fanutensilien“ beschäftigt das Bündnis ProFans seit mehreren Jahren. Die Versuche seitens der Vereine und Verbände auf dem Weg der Beschränkung und Zulassung von Fanmaterialien die Fanszenen gleichsam zwanghaft zu erziehen, wird sehr kritisch betrachtet. „Eine Selbstregulierung, die eigentlich eine aufgezwungene Regulierung von außen ist, funktioniert nicht und wird auch in Zukunft nicht gelingen“ so Jakob Falk von ProFans.

Im Selbstverständnis von ProFans heißt es: „Fankultur braucht Freiheit. Eine bunte, kreative und laute Fankultur, die auch selbstregulierend tätig werden kann, braucht Freiheit.“ Eine solche Freiheit besteht nicht, wenn Fußballfans sogar beim Thema Fanutensilien von vornherein Misstrauen entgegen gebracht wird. Fanmaterialien wie Trommeln und Fahnen sind ein Ausdruck positiver Fankultur. Fahnenmeere und laute Gesänge, die von mitreißenden Trommelrhythmen begleitet werden, erzeugen die Atmosphäre, die den Fußball so anziehend und besonders macht. Diese Utensilien sind die Grundlage für jegliche Kreativität und Euphorie bei der Unterstützung der jeweiligen Mannschaft. Hier ist nicht die Rede von gefährlichen Gegenständen, die als Waffen benutzt werden könnten. Welche Verbrechen sollen mit Fahnen, Trommeln oder einem Megafon verübt werden? Wie viele Straftaten wurden durch solche Utensilien in den letzten Jahren begangen? Denken Sicherheitsbeauftragte und Verantwortliche solcher Modelle, dass jemand seine Trommel Woche für Woche und Jahr für Jahr bei Auswärtsspielen durch das Land schleppt, um sie als Wurfgegenstand in das Fangnetz eines x-beliebigen Gästeblocks zu schleudern? Solche Mutmaßungen sind schlichtweg absurd.

Mit einzelnen Vorkommnissen in der Vergangenheit (etwa Trommelstockwurf in Hamburg 2005) die repressiven Maßnahmen zu begründen ist eine Kriminalisierung und Bestrafung aller Fußballfans für das Vergehen einiger sehr weniger. ProFans macht deutlich, dass es hier nicht um die Deckung von Straftaten geht. Wenn jemand körperliche Gewalt gegenüber anderen Menschen ausübt, ob mit oder ohne Tatgegenstände, darf er sich über folgende Strafen nicht wundern. Es ist indes jedoch mehr als nur schwer vorstellbar, dass unvorhergesehene Situationen, in denen es etwa zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt, präventiv verhindert werden können, in dem im Vorfeld ein Trommelbesitzer seinen Personalausweis abgegeben hat. Das gilt erst recht für Fans, die es möglicherweise bewusst auf eine Auseinandersetzung anlegen. „Wer auf Krawall gebürstet ist, dem ist es egal, ob eine Schwenkfahne erlaubt oder verboten ist“ erläutert Jakob Falk. Ohne an dieser Stelle auf die Diskussion um Pyrotechnik eingehen zu wollen, hat die jüngste Vergangenheit gezeigt, dass selbst komplette Materialverbote vielerorts die Fanszenen nicht daran gehindert haben Pyrotechnik einzusetzen, sondern sie – ganz im Gegenteil – dazu gebracht haben Pyrotechnik als Ausdruck ihres Protestes „erst recht“ einzusetzen. Von Konflikten wegen des Einschmuggelns von im Vorfeld verbotenen Fanutensilien ganz zu schweigen.

Inwiefern dem Datenschutz mit den angesprochenen Maßnahmen entsprochen wird, ist zudem fraglich. Der betroffenen Person vor Ort ist es nicht möglich nachzuvollziehen, wer ihre Daten zu welchem Zweck zu Gesicht bekommt und was genau mit den Daten geschieht. Es gibt keine Möglichkeit für eine betroffene Person sicherzustellen, dass es keine Datenweitergabe (etwa an die Polizei), keine Datenspeicherung (auch im Falle von keinerlei Vorkommnissen) und keinen Datenmissbrauch gibt. Gesamtgesellschaftlich wird mit dem aktuellen Vorgehen eine weitere kleine Lücke geschlossen, das Bild eines gläsernen Bürgers zu vervollständigen. Mit einer Personalienabgabe verbunden, können theoretisch umfassende Informationen über das Bewegungsmuster einer Person gesammelt werden. Entsprechende Datenschutzkonzepte der Vereine und des DFB/ der DFL, zum Umgang mit Personendaten bei Fanutensilien liegen ProFans nicht vor.

Völlig unklar bleibt derweil, was eigentlich rechtlich passiert, wenn es theoretisch zu Straftaten kommt, obwohl jemand seine Personalien abgeben hat. Muss die Besitzerin einer liebevoll gestalteten Schwenkfahne dafür haften, dass andere in ihrem Rücken Lust darauf hatten Rauchpulver zu zünden? Was passiert, wenn ein Betrunkener dem Trommler den Stock aus der Hand reißt und auf das Spielfeld wirft und möglicher Weise noch einen Ordner trifft? Welche Folgen sind denkbar? Stadionverbot? Eintrag in die Datei Gewalttäter Sport? Verurteilungen zu exorbitanten Geld- oder sogar Freiheitsstrafen? Welche erheblich negativen Folgen ein solches Prozedere auf das finanzielle, soziale und vor allem private Leben der betroffenen Person haben kann, ist hinreichend bekannt. Nach dem Einschüchterungsprinzip setzen hier also die Erpressungsversuche der Verantwortlichen an. Vermutlich wird im Fall des Falles für die Person, die den Personalausweis abgegeben hat, die einzige Chance einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen sein, dass sie gegen andere Fans aussagt.

Bewusst wird hier auf eine Selektion hingearbeitet. „Vernünftige“ sollen sich gegen „weniger Vernünftige“ aussprechen. Dies sollen sie möglichst nicht erst nach einer möglichen Straftat, sondern bereits im Vorfeld tun. Auf eine subtile Art und Weise wird hier daraufhin gearbeitet den sogenannten „Selbstreinigungsprozess“ in den Fanszenen voranzutreiben. „Wahre Fans“ sollen sich gegen „Falsche Fans“ stellen, „Richtige Fans“ gegen „Sogenannte Fans“, „Gute“ gegen „Böse“, die „Mehrheit“ gegen die „Minderheit“, etc. Abgesehen davon, dass jegliche Dualismen dieser Art völlig unzureichende, vereinfachende externe Beschreibungen von Fans und Fanszenen darstellen, birgt dieses Vorgehen mehr Risiken als Chancen. „Wer im Interesse der Sicherheit sogar Fans eines gemeinsamen Vereins gegeneinander aufbringt, der hat nicht im Ansatz begriffen was Deeskalation im Zusammenhang mit Fußballspielen bedeutet“ erklärt Jakob Falk weiter.

Es muss darüber hinaus davon ausgegangen werden, dass auf diesem Wege insbesondere die Stellung und Einflussnahme von Ultras in den Fanszenen vermindert werden soll. Viele Ultragruppen leben und streben nach dem Ideal der Freiheit und Unabhängigkeit in ihren Kurven. Vielerorts müssen sie bereits Materialeinschränkungen hinnehmen, ihre Choreographien, Spruchbänder und Infoflyer anmelden und prüfen lassen. Sie werden sich nicht noch weiter erpressen lassen. Für sie wird daher eine Personalienabgabe für Fanutensilien schwer vereinbar mit ihren Grundsätzen und Überzeugungen sein. Die Verantwortlichen wissen das. Ohne Megafon, Trommel und Co. wird es allein schon rein akustisch den Ultragruppen erschwert Einfluss zu nehmen, die Unterstützung ihrer Mannschaft im größeren Stil zu koordinieren. Die Möglichkeit der Reaktion darauf ist es entweder, dass es Ultras in Kauf nehmen auf größere Einflussnahme bei der Unterstützung der Mannschaft zu verzichten oder, dass sie entscheidende Kernprinzipien ihrer Ideologie aufgeben. In beiden Fällen würden die Ultras und würde das Ausleben von Fankultur erheblich geschwächt. Es wird deutlich, dass hinter der Abgabe von Personalien für Fanutensilien mehr Kalkül steht, also nur eine höhere Gewährleistung der Sicherheit.

Wir fordern im Sinne unseres Einsatzes „Zum Erhalt der Fankultur“ die Vereine und Verbände eindringlich auf diese Maßnahmen mit sofortiger Wirkung einzustellen. Eine wirkliche Selbstregulierung in den Fanszenen kann nur gelingen, wenn sie aus eigenem Interesse und eigenem Antrieb vollzogen wird. Dazu benötigen die Gruppen und Personen, die Einfluss auf die Fanszenen nehmen können, allerdings überzeugende Argumente. Eine Erpressung von außen ist kein solches, sondern eher ein weiteres Argument für radikale Kräfte in den Fanszenen, sich auf keinerlei Kompromisse einzulassen.

Wir fordern außerdem auch alle Fußballfans auf genau zu überdenken, ob es ihnen wert ist, sich durch eine Abgabe ihrer Personalien für Fanutensilien erpressen, instrumentalisieren und entzweien zu lassen!

ProFans im Juni 2012

ProFans erschrocken über Medienhysterie und populistische Forderungen hinsichtlich des Relegationsspiels Düsseldorf-Hertha BSC

Hamburg, 31. Mai 2012 – Mit Erschrecken haben die in der Fanorganisation ProFans zusammengeschlossenen Gruppen die mediale Diskussion zu den Geschehnissen während des Relegationsspieles zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC zur Kenntnis genommen. Sich in Superlativen ergehend wurde selbst in sonst seriösen Medien beispielsweise von einem „Skandalspiel“ berichtet, von „Chaos“ gar und „Tumulten“.

Fakt ist: Während des Spiels kam es auf beiden Seiten zum Einsatz von Bengalischen Feuern, die leider vom Gästeblock aus auch auf das Spielfeld geworfen wurden. Dies ist zu kritisieren und klar zu verurteilen. Kurz vor Ende des Spiels kam es außerdem zu einem verfrühten Platzsturm durch Düsseldorfer Fans, die allerdings schnell wieder vom Grün verschwunden waren, nachdem sie hier zu aufgefordert und auf ihren Fehler hingewiesen worden waren. Hieraus wurde ein „Skandalspiel“ herbeigeschrieben, von dem wohl jeder, der es nicht selbst gesehen hat, glauben musste, es ginge um Leben und Tod. Ging es ja offenbar auch. Jedenfalls, wenn man Herrn Schickhardt, von Hertha BSC Glauben schenkt, der von „Todesängsten“ seiner Spieler sprach und davon, dass man ein „Blutbad“ verhindert habe, indem man wieder auf den Platz kam.

ProFans ist schockiert, dass nicht einmal ein Jahr nachdem es in Ägypten zu mehr als 70 toten Fans kam, weil unter anderem Sicherheitskräfte in die Menge schossen, derartige Vokabeln im Zusammenhang mit einem Platzsturm verwendet (und von den Medien dankend verbreitet) werden, der nicht etwa aus Aggression, sondern aus Freude über den erneuten Aufstieg in die erste Bundesliga erfolgte, in der Fortuna Düsseldorf geschlagene 15 Jahre vergebens in der Tabelle gesucht wurde.

Unsachlich und übertrieben sind die Forderungen nach härteren Sanktionen aufgrund der „neuen Welle der Gewalt“. Die Polizei Düsseldorf vermeldete in ihrem Spielbericht keinen einzigen Verletzten und keine größeren Vorkommnisse vor, während und nach dem Spiel. Wo ist also die Gewalt, wenn nicht einmal die Ordnungshüter davon zu berichten wissen? Diese sind schließlich einer Verharmlosung von sicherheitsbeeinträchtigenden Vorfällen beim Fußball alles andere als verdächtig.

Es gab in Düsseldorf kein Skandalspiel, sondern ein vom Spielverlauf sehr emotionales, dramatisches Duell um den Aufstieg, das von einem Verein gewonnen wurde, dessen Fans seit 15 Jahren keinen Bundesligafußball gesehen und ihre Rückkehr irrtümlich zu früh gefeiert haben. Mehr nicht.

In den Tagen nach dem Relegationsspiel waren die Vorkommnisse das Thema der Stunde. Das Aufgreifen der Medien ist verständlich, der größte Teil der Umsetzung allerdings scharf zu kritisieren. „Seit dem großen Medienaufschrei Rund um das Pokalsspiel Dortmund-Dresden im Herbst letzten Jahres, hatten wir gehofft mit dem Fankongress in Berlin und den Bemühungen um einen effektiven Dialog auf einem anderen Weg zu sein“ sagt Jakob Falk von ProFans. Doch solche Bemühungen werden torpediert, wenn sich außenstehende Prominente und populistische Scharfmacher in Fernsehshows mit ihren Kommentaren und unsachgemäßen Forderungen in Szene setzen. Abgesehen davon, dass die berichtenden Formate sich leider wenig professionell präsentierten, wurde inhaltlich wieder einmal alles vermischt, was es zu vermischen gibt. Die feiernden Fortunafans mit auf den Platz fliegenden Fackeln, mit dem gewalttätigen Angriff von Anhängern des Oberligisten BFC Dynamo auf Fans aus Kaiserslautern oder gar völlig zusammenhangslosen Bildern polnischer Fußballausschreitungen. Das ist enttäuschend, aber auch nicht wirklich neu. Wirklich schlimm ist es, wenn durch solche Einflussnahme eine eigentlich sachliche Debatte wieder verunsachlicht und zurückgeworfen wird. ProFans hat bewusst an keiner der vergangenen TV- Sendungen und keinem dieser Interviews teilgenommen. Wir fordern die Medien auf, im Sinne aller, die an einer lebendigen, von positiver Energie nur so strotzenden Fankultur interessiert sind, differenziert und weniger druckausübend zu berichten. Wenn es nachhaltige Erfolge geben soll, ist es nötig, dass alle wirklich Beteiligten – die Verbände, Vereine, Fanprojekte und Fans – in Ruhe ihre bereits begonnene Arbeit fortführen können. Der Ruf nach schnellen und harten Sanktionen behindert die bereits stattfindenden Bemühungen und sorgt mit seinem bedrohenden Charakter sogar für mehr Eskalationspotential als für eine von allen Seiten gewünschte Bewegung hin auf eine Lösung der bestehenden Probleme.

Hinsichtlich der utopisch erscheinenden Forderungen nach neuen restriktiven Maßnahmen, die von Nacktscannern, über riesige Blockvorhänge bis hin zu Fußfesseln reichen, mahnt ProFans die Verantwortlichen, endlich nach Alternativen zu diesem System zu suchen. „Das über Jahre immer stärkere Anziehen der Repressionsschraube hat nachweislich nicht zu den erhofften Erfolgen geführt“ so Philipp Markhardt, Pressesprecher von ProFans.

Es ist an der Zeit über Möglichkeiten nachzudenken, wie den Fanszenen mehr Freiraum zum Ausleben ihrer Fankultur geschaffen werden kann. Nur so ist es denkbar, dass Fans mehr dazu bereit sind Verantwortung zu übernehmen. Durch Materialverbote, zahllose repressive Einschränkungen und nun sogar angedachte utopische unmenschliche Maßnahmen wird den Fans immer mehr die Möglichkeit genommen selbst Verantwortung zu übernehmen. Ist es also verwunderlich, dass Fans unter diesen Voraussetzungen teilweise auch immer wieder bewusst unverantwortlich – in den Augen der Verantwortlichen – handeln?

Der Fankongress war für uns von ProFans als Veranstalter ein voller Erfolg. Wir blicken auf ein ereignisreiches Wochenende zurück. Die Veranstaltungen waren für alle Beteiligten intensiv und fruchtbar. Der Fankongress hat unsere Dialogbereitschaft einmal mehr unter Beweis gestellt. Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass diese Dialogbereitschaft auf noch mehr Resonanz bei den zuständigen Entscheidungsträgern trifft. 550 Teilnehmer von über 60 Vereinen auf einem von Fans selbst organisierten und finanzierten Kongress und sachliche Diskussionen zeigen auf, wie differenziert, ernsthaft und reflektiert sich die Fanszene im Jahr 2012 darstellt. Von den Teilnehmern haben wir ein durchweg positives Feedback bekommen. „Dieser Fankongress ist wichtiger als der in Leipzig“, so Thomas Schneider von der DFL. Wir freuen uns, dass der Fankongress 2012 so gut geklappt hat und bedanken uns bei allen Teilnehmern. Als wir nach der Fandemo die Idee zu diesem Kongress entwickelten, ahnten wir noch nicht, was für eine Mammut-Aufgabe vor uns liegen würde. Auch der DFB-Sicherheitsbeauftragte Hendrik Große Lefert fand lobende Worte: „Die Organisation hat mich beeindruckt.“ Für uns war es wichtig, die Bedeutung von Fans und Fankultur für den Fußball zu unterstreichen. Wir Fans sind ein wichtiger Teil des Phänomens Fußball. Auf dem Fankongress wurden wichtige Fragen zu unterschiedlichen Themen rund um dieses Phänomen von Fans und anderen Akteuren des Fußballs zusammen besprochen.

Danke dass Ihr an diesem Wochenende mit dem Fankongress 2012 einen weiteren Schritt mit uns gegangen seid. Danke an alle, die zum Gelingen des Fankongresses beigetragen haben. Wir hoffen, dass alle am Fußball beteiligten Akteure diesen mit dem Fankongress beschrittenen Weg zusammen mit uns weitergehen.

Im Folgenden nun die Ergebnisse aus den einzelnen Themengebieten:

Wem gehört der Ball? Der Fußball zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und Privatrecht

Stadionverbote: Präventivmaßnahme oder Ersatzstrafrecht?

Bei der Diskussion zum Thema Stadionverbote wurden grundsätzlich bekannte Positionen ausgetauscht. Während der DFB, vertreten durch Hendrik Große Lefert, und André Waiß, Sicherheitsbeauftragte Energie Cottbus, Stadionverbote als probates Mittel ansehen, um nicht erwünschte Personen nicht in die Stadien zu lassen, sehen Fanprojekte, Sozial-Wissenschaftler, Juristen und Fanvertreter dieses mit anderen Augen. Auf der einen Seite wurde die Sinnlosigkeit der Stadionverbote als Werkzeug hervorgehoben. So sagte Antje Hagel vom Fanprojekt Offenbach: „Ausschluss ist keine Lösung.“ Auf der anderen wurde von den anwesenden Juristen deutlich unterstrichen, dass das Stadionverbot in der momentan Form gar nichts anders als ein Ersatzstrafrecht bewertet werden kann. „Hier wird ein Verhalten beurteilt, dass jemand an den Tag gelegt hat und daraufhin eine Sanktion ausgesprochen. Es findet keine Beurteilung der Zukunft statt. Dieses geschieht auch oft auf Empfehlung der Polizei, somit wird die deutsche Rechtsprechung ausgehebelt und quasi ein Ersatzstrafrecht geschaffen.“ erklärt Marco Noli von den Fananwälten. Hendrik Große Lefert betonte wiederholt, dass er die verschiedensten Anregungen aus den Fanszenen und den Referenten mitnehmen würde und bereit sei, über bestimmte Ansätze zu reden „Ich bin lösungsorientiert“. Er räumte weiterhin ein, dass „es bezüglich der Prozesse bei vielen Vereinen noch Optimierungsbedarf gäbe“. Dass es aber nicht nur bei den Vereinen, sondern auch beim DFB die Prozesse rund um die Stadionverbote optimiert werden müssen, belegten zahlreiche Beispiele zum Ende der Veranstaltung. Gerade der DFB spricht vermehrt Massen-Stadionverbote auf Empfehlung der Polizei aus. In der AG Fanbelange soll das Thema nun mit hoher Priorität behandelt werden.

Geld regiert die Welt? Einflussfaktoren auf die Anstoßzeiten.

Auch beim Thema Anstoßzeiten, kam es zu einer angeregten Diskussion, wobei aufgrund der Zeit auch hier längst nicht alle Facetten dieses komplexen Themas behandelt werden konnten. Holger Hieronymus gab einen kurzen Einblick in den Ablauf der Spieltagsterminierung, während Dirk Grosse die Veränderungen von 1985 bis heute, vor allem auf Hinblick auf die gestiegenen Zuschauerzahlen in den Stadien, beschrieb. Auf die Nachfrage, ob die Zersplitterten Spieltage sich denn auf die Einschaltquoten auswirken würden, entgegnete Dirk Grosse, dass Einschaltquoten für Sky keine Rolle spielen würde: „Unserer Maß ist die Kundenzufriedenheit.“ Tim von Frenetic Youth Kaiserslautern sprach über die Probleme der Fans und auch durch die Beteiligungen aus dem Publikum wurde deutlich, dass sich vor allem drei brennende Problemfelder ergaben: Die späte Terminierung der Spieltage, die Zerstückelung auf bis zu neun verschiedene Anstoßzeiten in den ersten beiden Ligen (in Zusammenspiel mit den Anstoßzeiten an Werktagen) und die nicht vorhandene gleiche Verteilung bei den Ansetzungen. Holger Hieronymus erklärte, dass jeder Verein ungefähr gleich viele Spiele an den unterschiedlichen Tagen haben sollte, räumte dann aber ein, dass das „nicht wirklich gut gelinge“. Auf die Frage des Moderators Michael Gabriel, ob sich Holger Hieronymus irgendeine Möglichkeit vorstellen könnte, auch Fans in die Planung mit einzubeziehen, entgegnete er, dass er dieses nicht entscheiden könnte, da spielten auch noch z.B. die Vereine eine Rolle. Somit bleibt auch weiterhin eine der wichtigsten Fragen von dieser Diskussionen unbeantwortet, die Tim am Anfang stellte: „Von welchen Fans reden Sie, wenn Sie auf Ihrer Homepage schreiben, Sie würden Faninteressen bei den Ansetzungen berücksichtigen?“

Fankultur als soziales Phänomen

Kein Zwanni für nen Steher!

Fußball muss bezahlbar sein. Zu hohe Ticketpreise schließen sozial schwächer gestellte Fans vom Stadionbesuch aus. Dadurch wird die Sozialstruktur der Fankurven verändert und der Fußball seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht. Viele Fans organisieren sich in der Initiative „Kein Zwanni – Fußball muss bezahlbar sein“, um für sozial-verträgliche Eintrittspreise zu kämpfen. Vertreter aus München berichteten aus eigener Erfahrung, dass schon jetzt nicht mehr jeder in der Lage sei, sich regelmäßig den Stadionbesuch zu leisten. Dieses Beispiel sollte Warnung sein, das Thema nicht nur halbherzig zu behandeln, sondern eine nachhaltig soziale Preisgestaltung bundesweit als eine zentrale Forderung aller Fans auszurufen. Es ist zu wünschen, dass noch mehr Fans dem Beispiel der Kampagne (www.kein-zwanni.de/) folgen und sich mit lokaler Arbeit dem grassroots-Projekt anschließen. Diese Entwicklung betrifft nicht nur Ultras, sondern alle Stadionbesucher. Es ist an der Zeit aufzustehen und gemeinsam diese Missstände aktiv zu bekämpfen.

Mehr als 90 Minuten – Ultrà und seine Facetten

In der Veranstaltung erhielten die Teilnehmer zunächst Einblicke in die soziale Arbeit von Ultras-Gruppen. Verschiedene Beispiele für karitatives und politisches Engagement wurden dem Publikum in Kurzvorträgen aufgezeigt. In der anschließenden Diskussion äußerte sich Fanprojekt-Sprecher Thomas Beckmann positiv zum Einfluss der Ultras auf Jugendliche. Diese würden „ in den Gruppen enormen Rückhalt erfahren“. Ähnlich äußerte sich Kommunikationswissenschaftler Peter Schüngel, der „die Anführer der Gruppen als moderne Erzieher“ bezeichnete. Jacob Klemm von der Initiative Hintertorperspektive beschäftigte sich mit dem Potential der Ultras-Gruppen. Wenn die Ultras es schaffen, sich ihrer Verantwortung zu stellen und Gemeinsamkeiten zu erkennen, sind sie in der Lage nicht nur im Stadion, sondern auch in der Gesellschaft etwas zu verändern. Im Weiteren wurde auch die Kommunikation der Ultras mit den Medien kontrovers diskutiert, Spiegelredakteur Rafael Buschmann forderte die Ultras dazu auf „ihre Kommunikationsstrukturen zu professionalisieren“. Er ist der Meinung: „Ohne Ultras würde der Stadionbesuch keinen Spaß machen.“

Die Chancen und Grenzen von Selbstregulierung, Freiheit und Verantwortung in den Fankurven

Der Umgang mit den Fan-Freiheiten: ein ehrlicher Dialog? Das sogenannte St. Pauli-Modell und die Pyro-Kampagne

Nach Begrüßung und Einleitung in die Thematik, berichtete Stephan Schell von der Wilden Horde Köln aus der Praxis hinsichtlich der Anmeldung und Handhabung, sowie Definition von Fanutensilien. Es kristallisierte sich ziemlich schnell heraus, dass die verschiedenen Vorgaben der Vereine hinsichtlich der Anmeldung von Fanutensilien in vielen Fällen vollkommen unverständlich sind und erwiesenermaßen für mehr Probleme sorgen als eigentlich nötig. Dabei stellt sich prinzipiell die Frage, warum eine Anmeldung von Fanutensilien überhaupt nötig ist. „Positive Fankultur benötigt eine Plattform“ so Stephan Schell. Die positiven und vor allem kreativen Impulse, die Fanszenen auf den Fußball haben können, werden durch die derzeitige Praxis erheblich erschwert. Die Idealvorstellung von ProFans liegt darin, dass sich Fankurven hinsichtlich der Utensilien frei in ihrem Fan-Dasein ausleben können. Das sogenannte „Sankt Pauli-Modell“ sieht vor, Auswärtsfans grundsätzlich alle Freiheiten einzuräumen, diese Freiheiten für zukünftige Begegnung allerdings von der Befolgung bestimmter Verhaltensvorgaben abhängig zu machen. ProFans sieht diese Praxis schlichtweg als eine Form der Erpressung an, mit der unerwünschtes Verhalten wie etwa der Einsatz von Pyro verhindert werden soll.

Die Pyro-Kampagne ist ein anschauliches Beispiel, wie Selbstregulierung und Eigenverantwortung in den Fankurven funktionieren kann. Die Fangruppen haben sich in einem Prozess der Selbstreflexion an die selbst auferlegten Regeln gehalten und mit dem Pyro-Verzicht bewiesen, welchen Einfluss sie in den Fankurven ausüben können. Die Ernsthaftigkeit und Professionalität der Kampagne hat bewiesen, dass die Fans verlässliche Gesprächspartner sind. Der DFB hat diese Chance eines Dialogs auf Augenhöhe im Sinne des gemeinsamen Interesse nicht genutzt und den dialog- und kompromissbereiten Teil der Fans, die Tür vor der Nase zu geschlagen. Hinsichtlich der ständig gegenwärtigen Diskussion über Selbstregulierung mahnte Stephan Schell: „Wenn es so weiter geht, werden die gemäßigten Stimmen in den Fanszenen irgendwann kein Gehör mehr finden.“ Im Zuge der Debatte um den Abbruch des „Pyro-Dialogs“ räumte Gerald von Gorrissen, Leiter der Fananlaufstelle des DFB, mögliche Kommunikationsfehler ein und schien auch keinen Ausweg aus dieser augenscheinlichen Sackgasse zu finden. „Ich habe derzeit ein großes Fragezeichen auf der Stirn.“ Wir bedanken uns trotzdem bei Herrn von Gorrissen, dass er spontan auf das Podium kam und sich den zahlreichen kritischen Wortbeiträgen des Publikums stellte. Es bleibt zu hoffen, dass der Dialog wieder aufgenommen wird. Das Thema Pyrotechnik kann für uns nicht einfach ad acta gelegt werden. Die Fans sind weiter gesprächsbereit, wie ein Sprecher der Kampagne „Pyrotechnik Legalisieren – Emotionen Respektieren“ deutlich betonte. Gleiches erwarten wir von den verantwortlichen Verbandsvertretern. Eine gemeinsame Lösung sollte im Sinne aller Beteiligten sein. Ein bloßer Abbruch der Gespräche, verschiebt die Problematik nur oder verschlimmert sie sogar. Festgestellt wurde von der Kampagne noch einmal öffentlich, dass ein legales Abbrennen von Pyrotechnik in Fußballstadien rechtlich möglich ist und auf lokaler Ebene an etlichen Standorten umsetzbar wäre. Einzig die ablehnende Haltung des DFB steht diesem im Weg.

Funktioniert die Verregelung und Selbstregulierung von Fangewalt? Wenn ja, wie?

Auf dem Fankongress haben sich relevante Vertreter unterschiedlichster zum Teil stark rivalisierender Gruppen zusammen gesetzt. Die Diskussion wurde von dem Politologen und Fanforscher Jonas Gabler moderiert. Dass ein Gespräch zu diesem Thema in einer solchen Konstellation zustande gekommen ist, sehen wir als Erfolg. So etwas hat es bisher noch nicht gegeben. Wir sind uns sicher, dass der Inhalt dieses Gesprächs in die einzelnen Gruppen getragen und die Diskussion dort fortgesetzt wird.

Identifikation der Fans mit dem Verein in Zeiten des „modernen Fußballs“

Das Engagement von Fans für den Erhalt der Vereinsidentität

Im ersten Teil der Themenreihe hörte man gespannt den Vorträgen der Fanszenen Stuttgart, Union Berlin und Nürnberg zu, wie sich diese Vereine um den Erhalt der Werte und Traditionen ihres Vereins einsetzen und auf welche Schwierigkeiten sie dabei trafen und auch immer noch treffen. Im Anschluss an die Vorträge kamen aus dem gut gefüllten Auditorium Fragen an die Vortragenden. So berichtete Oliver Schaal (Commando Cannstatt 97) davon, dass sein Verein der VfB Stuttgart auf Initiative von Commando Cannstatt eine Möglichkeit gefunden hat, trotz der Forderung nach Sitzplätzen im ganzen Stadion für internationale Spiele, in der Cannstatter Kurve Stehplätze zu erhalten. Dazu wurde ein spezieller Sitz geschaffen, der beides ermöglicht. Holger Keye (Wuhlesyndikat) erklärte das Selbstverständnis der Union-Fans in Bezug auf ihre Kultur dahingehend, dass man nach dem Motto handele, dass man gemeinsam alles schaffen kann, wenn man es nur wolle. Als prominentes Beispiel hat er hierzu den Umbau des Stadion „An der Alten Försterei“ genauer erläutert, welches als das Heiligtum des Vereins gilt. Aus Nürnberg berichteten Julius und Flo (Ultras Nürnberg) über den aktuellen Stand ihrer Kampagne zur Umbenennung des Stadions nach Max Morlock. Hierbei ist hervorzuheben, dass es aus ihrer Sicht zielführend sein kann, dass ähnlich geartete Kampagnen zum Erhalt von Werten und Traditionen in ihrer Außendarstellung nicht allein auf die Ultras-Gruppen referieren. So entgeht man der Gefahr, dass Aktionen der Gruppe auf die Kampagne selbst bezogen werden, sie wirken so autonomer. Die genannten Beispiele sind nur einige von vielen, die belegen wie wichtig für die Identifikation der Fans mit ihren Vereinen eine Vereinsidentität ist, die die Fans mitgestalten und erhalten.

Identifizieren sich junge Fans zunehmend über die Fankurve? Wie verändert sich das Fansein?

In der zweiten Veranstaltung zu diesem Thema hatte man zu einer Podiumsdiskussion einige Vertreter verschiedener Vereine und mit unterschiedlichem Fan-Hintergrund eingeladen. Diese diskutierten angeregt über die Frage, ob sich Fans heutzutage mehr mit der Kurve als mit dem Verein identifizieren, auch in Hinblick auf frühere Zeiten. Es herrschte hier schnell Einigkeit, dass es im Laufe der Jahre keine grundlegenden Veränderungen gegeben habe, da der sportliche Erfolg nur bedingt im Vordergrund bei der Wahl des Vereins steht.
Im Verlauf der Diskussion, an der auch das Auditorium rege teilnahm, zeigte sich die Vielfältigkeit der Fankulturen in Deutschland und auch die Vielschichtigkeit des Themas selbst. Jeder Verein hat spezifische identifikationsstiftende Merkmale, die es zu erhalten und an die jüngere Generation weiterzugeben gilt. Es wurde von mehreren Teilnehmern darauf hingewiesen, ja fast gefordert, dass die Fans sich in ihren Vereinen entsprechend engagieren sollen, um die eigenen Werte und Traditionen zu erhalten. Des Weiteren waren sich alle einig, dass auch eine überregionale Zusammenarbeit der Fanszenen wichtig ist, da man sich nur gemeinsam für den Erhalt der Fankultur stark machen könne. Volker Goll (Offenbach) fasste das Thema treffend zusammen: „Fans schaffen die Identifikation des Vereins, sie müssen hier nur noch selbstbewusster sein und entsprechend auftreten im Umgang mit dem Verein, da diese den Fans eigentlich dankbar sein müssten, dass wir in Deutschland noch eine kreative und engagierte Kultur haben.“

Wie schaut der Fußball in der Zukunft aus und welche Rolle spielen die Fans dabei?

Welche Möglichkeiten der Mitsprache haben Fans in ihrem Verein und ist die 50+1-Regel dafür wichtig

In der Veranstaltung beschäftigten sich die Referenten mit den Fragen, welche Möglichkeiten der Mitsprache Fans in ihren Vereinen haben und ob die 50 + 1 Regel dafür wichtig ist. Zu Beginn der Diskussion gewährte Jens Wagner vom Supporters Club des Hamburger Sportvereins den Zuhörern einen Einblick in die Strukturen und langjährige Arbeit an der Basis des Vereins. Darauffolgend erklärte Martin Kind, der Präsident von Hannover 96, seine Beweggründe für die Aufweichung der „50+1“-Regel. Mit seinen Ausführungen stieß er bei Fananwalt René Lau auf Widerstand. Die „50+1“-Regel sichert den Einfluss der eigentlichen Vereine mit ihren Mitgliedern und Institutionen und verhindert, dass Investoren die Kontrolle über die Vereine übernehmen. Lau sprach sich klar für die „50+1“-Regel aus und präsentierte die juristische Dimension der Regel. Lau rief die Fans auf: „Werdet Mitglied in euren Vereinen und nehmt euer Stimmrecht wahr, damit in Deutschland keine englischen Verhältnisse möglich werden“. Nur diese Form der Partizipation am Vereinsleben sichert auf Dauer den Einfluss der Fans in den Vereinen und verhindert, dass Investoren die Kluft zwischen Profi-Fußball und Fanbasis weiter vergrößern. Im Anschluss betonte Robert Pohl, Vertreter der Fanorganisation „Unsere Kurve“, dass nicht die Sponsoren sondern die Fans das wahre Kapital der Vereine seien.

‘Rechtsfreier Raum’ Stadion?

Wie steht es um den Datenschutz? Was können wir Fans tun?

Der Umgang mit den Daten von Fans durch Vereine und Verbände aber auch durch die Polizei und andere Ermittlungsbehörden ist in vielen Punkten mehr als bedenklich. Die Fananwältin Angela Furmaniak lieferte einen Überblick über die Thematik und verdeutlichte dessen Bedeutung. Die Arbeit von drei Initiativen zeigte den Teilnehmern auf, wie sie sich bei diesem Thema für ihre Rechte einsetzen können. Eine Initiative baden-württembergischer Fangruppen hat sich mit einer Datei sogenannter „Szenekundiger Beamter“ über angebliche Problemfans befasst. In der sogenannten SKB-Datenbank speichern „Szenekundige Beamte“ unter anderem folgendes über Fans: Lichtbild, eventuelle aktuelle oder vergangene Stadionverbote, Einträge in die Datei „Gewalttäter Sport“, mutmaßliche Gruppenzugehörigkeit, Kfz-Kennzeichen, Arbeitgeber und ein Freifeld für personenbezogene Einträge sowie eine „Fan-Vita“. Die erfassten Daten sind sowohl was Umfang, Rechtmäßigkeit und Korrektheit angeht problematisch. Der Zusammenschluss aller relevanten Ultras-Gruppen aus Baden-Württemberg holte die Machenschaften ans Licht und schaffte Transparenz, was für eine Löschung vieler nicht korrekter oder unrechtmäßiger Daten sorgte. Die Ultras Hannover entwickelten ein Formular und stellten dies anderen Fans zur Verfügung, mit dem die Löschung von bei Massen-Personalienfeststellungen erhobenen Daten erfolgreich erreicht werden kann. Die Initiative „Fananwälte“ beschäftigt sich nun verstärkt mit der Frage, inwieweit die Datenweitergabe zwischen privatrechtlichen Vereinen und Ermittlungsbehörden rechtmäßig ist. In diesem Bereich sehen sie viel Handlungsbedarf. Nur durch zivilgesellschaftliche Kontrolle sei eine ausuferende und halblegale Praxis einzudämmen. Sie empfehlen Datenspeicherung und daraus resultierende Maßnahmen wie Ausreiseverbote oder Meldeauflagen immer, zur Not verwaltungsrechtlich, zu hinterfragen. Der Fananwalt Frank Hatlè ist der Meinung: „Stadionverbote als Privatisierung des Gefahrenabwehrrechts sind bedenklich.“ Angela Furmaniak resümiert: „Wie weit sind wir, dass es reicht, Fußballfan zu sein, um einem breiten Spektrum an Einschränkungen der Grundrechte ausgesetzt zu sein.“

Wir waren im Stadion und haben es überlebt!

Die sich überschlagenden Medienmeldungen der letzten Wochen suggerierten, dass in den Stadien ein immer größer werdendes Gewaltproblem vorhanden wäre, wegen dem sogar vor „Lebensgefahr“ zu warnen sei. Tatsächlich – und das bestätigen sogar die Zahlen der ZIS – ist es in den Stadion sehr sicher. „Zur Versachlichung: Mehr als 17,5 Millionen Menschen haben in der Saison 2010/2011 die Spiele der ersten und zweiten Bundesliga besucht. Nach Statistiken der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei wurden dabei 846 Personen verletzt, gegen 5.818 wurden Strafverfahren eingeleitet. Zur Verdeutlichung: Das entspricht einem Anteil von rund 0,005 Prozent beziehungsweise 0,033 Prozent.“ (aus dem Artikel: „Wir waren beim Fußball und haben es überlebt“ auf Schwatzgelb.de) Viele der in der Statistik aufgeführten Verletzten sind auf unverhältnismäßige Polizeieinsätze zurückzuführen. Gerade die mangelnde Aufklärung von Polizeigewalt ist hier – auch nach den Beobachtungen von Alexander Bosch von Amnesty International – höchst problematisch. „Ich hätte mir gewünscht, heute hier auch mit der Polizei reden zu können.“ Diese hatte am Donnerstag, nur zwei Tage vor dem Kongress, die Teilnahme an dieser Podiumsdiskussion wieder abgesagt. „Hier sitzen Fans, die reichen die Hand zum Dialog aber sie greifen ins Leere.“ kommentiert Stefan Minden, von der Initiative Fananwälte. Entsprechend einvernehmlich war die Diskussion und das eigentlich wichtige Thema konnte nicht angemessen dargelegt werden. Dabei hatten sich die Diskussionsteilnehmer auf eine kontroverse Diskussion eingestellt. Matthias Stein, Sprecher der BAG, geht seit den 1970ern zum Fußball und hat sich immer sicher gefühlt. Statt einer interessanten Diskussion darüber, ob es in den Stadien wirklich so gefährlich ist oder manche Medien die Situation aufbauschen und jeglichen differenzierten Blick vermissen lassen, blieb den Referenten Zeit auszuschweifen. „Vor 20 Jahren wäre eine solche Diskussionsrunde so nicht möglich gewesen. Das ist ein Erfolg.“ so Jens Volke, langjähriger Fanaktivist und heute Fanbeauftragter von Borussia Dortmund.

Blick über den Tellerand ins Europäische Ausland

Am Sonntag folgte der Blick über den Tellerrand auf die Situation in anderen Ländern. So berichtete Emilio Abejón von der spanischen Fanorganisation FASFE über die Situation der Fans in Spanien bezüglich Anstoßzeiten und Stadionverbote. Dieses endete in einer munteren Diskussion, in der sich gegenseitig Ratschläge und Tipps gegeben wurden. Michael Brunskill von der englischen Fanorganisation FSF erzählte von der Entwicklung in England vor allem in Hinblick auf die gestiegenen Eintrittspreise. Oftmals kostet dort die billigste Eintrittskarte bereits 60 Euro. Kai Tippmann gab Einblicke in das Leben der Ultras in Italien und ergänzte: „Ein Fankongress wäre in Italien nicht möglich gewesen. Die hätten den Bahnhof abgefackelt und der Kongress wäre beendet.“ Mit Spannung erwartet wurde der Bericht von Arne Christian Eggen aus Norwegen, der über das dortige Pyrotechnik-Modell sprach. In Norwegen haben die Fans das Vertrauen vom Verband und der Polizei bekommen und dürfen unter bestimmten Vorgaben in ihren Fanszenen Pyrotechnik zünden. Dieses Modell ist sehr erfolgreich und ein Gewinn für alle beteiligten Parteien. Auch Antonia Hagemann hatte spannende Infos mitgebracht von der Arbeit von Supporters Direct, die Fans – seit einiger Zeit auch außerhalb Englands – dabei unterstützen, Einfluss in ihren Vereinen zu nehmen oder auch ganz neue Vereine aufzubauen. Bei der letzten Veranstaltung diskutierten Manuel Marcos (Liberté por les Abonnés), Lorenzo Contucci (MyRoma), Patrick Verstphal aus Kopenhagen (Alpha Brøndby), Burak Berkol (1907 ÜNIFEB), Umar Fredericks (Green Brigade Glasgow) sowie Pascal Claude (Journalist) unter dem Motto „Eine Rundereise durch das Europa der Repression“ und gaben interessante und spannende Einblicke in ihren Alltag als Fans.

Wir möchten uns an dieser Stelle noch einmal explizit bei den internationalen Referenten bedanken. „Wir sind alle hier zum Lernen!“ äußerte Holger Hieronymus auf dem Fankongress. Was bietet uns dafür mehr Gelegenheit als die Situation in anderen Ländern.

Aber nicht nur bei den ausländischen Referenten wollen wir uns bedanken, wie auch schon geschrieben, natürlich gilt unser Dank allen Referenten an diesen beiden Tagen sowie auch den Teilnehmern, den Pressevertretern, den Moderatoren und allen weiteren, die zu diesem gelungenen Fankongress beigetragen haben.

Wir hoffen, dass unsere Bereitschaft zu diskutieren, analysieren, reflektieren und Lösungen zu erarbeiten, nicht ins Leere läuft und nun auch seitens der Verbände auf deren getätigten Worte auch Taten folgen.

Zum Erhalt der Fankultur!
ProFans im Januar 2012

Der Fankongress 2012 steht kurz bevor. Bisher haben sich über 500 Teilnehmer von über 60 verschiedenen Vereinen angemeldet und über 70 Referenten zugesagt. Wir gehen aber natürlich davon aus, dass sich noch viel mehr Menschen für den Fankongress, seine Inhalte und die Ergebnisse interessieren. Deswegen haben wir uns dazu entschieden, Euch ständig auf dem Laufenden zu halten und auch den „Daheimgebliebenen“ Einblicke in den Fankongress in Berlin zu gewähren. Ihr könnt dem Geschehen auf unserer Facebook-Seite (Fankongress 2012 auf Facebook), unserem twitter-Kanal (Fankongress 2012 auf Twitter) und dem Blog www.erhalt-der-fankultur.de folgen.

Danke an dieser Stelle für die Unterstützung an das Online-Fanmagazin Schwatzgelb.de.

ZUM ERHALT DER FANKULTUR