Abschlussdokument Fankongress 2012
23. Januar 2012
Kategorie: Fankongress 2012
Der Fankongress war für uns von ProFans als Veranstalter ein voller Erfolg. Wir blicken auf ein ereignisreiches Wochenende zurück. Die Veranstaltungen waren für alle Beteiligten intensiv und fruchtbar. Der Fankongress hat unsere Dialogbereitschaft einmal mehr unter Beweis gestellt. Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass diese Dialogbereitschaft auf noch mehr Resonanz bei den zuständigen Entscheidungsträgern trifft. 550 Teilnehmer von über 60 Vereinen auf einem von Fans selbst organisierten und finanzierten Kongress und sachliche Diskussionen zeigen auf, wie differenziert, ernsthaft und reflektiert sich die Fanszene im Jahr 2012 darstellt. Von den Teilnehmern haben wir ein durchweg positives Feedback bekommen. „Dieser Fankongress ist wichtiger als der in Leipzig“, so Thomas Schneider von der DFL. Wir freuen uns, dass der Fankongress 2012 so gut geklappt hat und bedanken uns bei allen Teilnehmern. Als wir nach der Fandemo die Idee zu diesem Kongress entwickelten, ahnten wir noch nicht, was für eine Mammut-Aufgabe vor uns liegen würde. Auch der DFB-Sicherheitsbeauftragte Hendrik Große Lefert fand lobende Worte: „Die Organisation hat mich beeindruckt.“ Für uns war es wichtig, die Bedeutung von Fans und Fankultur für den Fußball zu unterstreichen. Wir Fans sind ein wichtiger Teil des Phänomens Fußball. Auf dem Fankongress wurden wichtige Fragen zu unterschiedlichen Themen rund um dieses Phänomen von Fans und anderen Akteuren des Fußballs zusammen besprochen.
Danke dass Ihr an diesem Wochenende mit dem Fankongress 2012 einen weiteren Schritt mit uns gegangen seid. Danke an alle, die zum Gelingen des Fankongresses beigetragen haben. Wir hoffen, dass alle am Fußball beteiligten Akteure diesen mit dem Fankongress beschrittenen Weg zusammen mit uns weitergehen.
Im Folgenden nun die Ergebnisse aus den einzelnen Themengebieten:
Wem gehört der Ball? Der Fußball zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und Privatrecht
Stadionverbote: Präventivmaßnahme oder Ersatzstrafrecht?
Bei der Diskussion zum Thema Stadionverbote wurden grundsätzlich bekannte Positionen ausgetauscht. Während der DFB, vertreten durch Hendrik Große Lefert, und André Waiß, Sicherheitsbeauftragte Energie Cottbus, Stadionverbote als probates Mittel ansehen, um nicht erwünschte Personen nicht in die Stadien zu lassen, sehen Fanprojekte, Sozial-Wissenschaftler, Juristen und Fanvertreter dieses mit anderen Augen. Auf der einen Seite wurde die Sinnlosigkeit der Stadionverbote als Werkzeug hervorgehoben. So sagte Antje Hagel vom Fanprojekt Offenbach: „Ausschluss ist keine Lösung.“ Auf der anderen wurde von den anwesenden Juristen deutlich unterstrichen, dass das Stadionverbot in der momentan Form gar nichts anders als ein Ersatzstrafrecht bewertet werden kann. „Hier wird ein Verhalten beurteilt, dass jemand an den Tag gelegt hat und daraufhin eine Sanktion ausgesprochen. Es findet keine Beurteilung der Zukunft statt. Dieses geschieht auch oft auf Empfehlung der Polizei, somit wird die deutsche Rechtsprechung ausgehebelt und quasi ein Ersatzstrafrecht geschaffen.“ erklärt Marco Noli von den Fananwälten. Hendrik Große Lefert betonte wiederholt, dass er die verschiedensten Anregungen aus den Fanszenen und den Referenten mitnehmen würde und bereit sei, über bestimmte Ansätze zu reden „Ich bin lösungsorientiert“. Er räumte weiterhin ein, dass „es bezüglich der Prozesse bei vielen Vereinen noch Optimierungsbedarf gäbe“. Dass es aber nicht nur bei den Vereinen, sondern auch beim DFB die Prozesse rund um die Stadionverbote optimiert werden müssen, belegten zahlreiche Beispiele zum Ende der Veranstaltung. Gerade der DFB spricht vermehrt Massen-Stadionverbote auf Empfehlung der Polizei aus. In der AG Fanbelange soll das Thema nun mit hoher Priorität behandelt werden.
Geld regiert die Welt? Einflussfaktoren auf die Anstoßzeiten.
Auch beim Thema Anstoßzeiten, kam es zu einer angeregten Diskussion, wobei aufgrund der Zeit auch hier längst nicht alle Facetten dieses komplexen Themas behandelt werden konnten. Holger Hieronymus gab einen kurzen Einblick in den Ablauf der Spieltagsterminierung, während Dirk Grosse die Veränderungen von 1985 bis heute, vor allem auf Hinblick auf die gestiegenen Zuschauerzahlen in den Stadien, beschrieb. Auf die Nachfrage, ob die Zersplitterten Spieltage sich denn auf die Einschaltquoten auswirken würden, entgegnete Dirk Grosse, dass Einschaltquoten für Sky keine Rolle spielen würde: „Unserer Maß ist die Kundenzufriedenheit.“ Tim von Frenetic Youth Kaiserslautern sprach über die Probleme der Fans und auch durch die Beteiligungen aus dem Publikum wurde deutlich, dass sich vor allem drei brennende Problemfelder ergaben: Die späte Terminierung der Spieltage, die Zerstückelung auf bis zu neun verschiedene Anstoßzeiten in den ersten beiden Ligen (in Zusammenspiel mit den Anstoßzeiten an Werktagen) und die nicht vorhandene gleiche Verteilung bei den Ansetzungen. Holger Hieronymus erklärte, dass jeder Verein ungefähr gleich viele Spiele an den unterschiedlichen Tagen haben sollte, räumte dann aber ein, dass das „nicht wirklich gut gelinge“. Auf die Frage des Moderators Michael Gabriel, ob sich Holger Hieronymus irgendeine Möglichkeit vorstellen könnte, auch Fans in die Planung mit einzubeziehen, entgegnete er, dass er dieses nicht entscheiden könnte, da spielten auch noch z.B. die Vereine eine Rolle. Somit bleibt auch weiterhin eine der wichtigsten Fragen von dieser Diskussionen unbeantwortet, die Tim am Anfang stellte: „Von welchen Fans reden Sie, wenn Sie auf Ihrer Homepage schreiben, Sie würden Faninteressen bei den Ansetzungen berücksichtigen?“
Fankultur als soziales Phänomen
Kein Zwanni für nen Steher!
Fußball muss bezahlbar sein. Zu hohe Ticketpreise schließen sozial schwächer gestellte Fans vom Stadionbesuch aus. Dadurch wird die Sozialstruktur der Fankurven verändert und der Fußball seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht. Viele Fans organisieren sich in der Initiative „Kein Zwanni – Fußball muss bezahlbar sein“, um für sozial-verträgliche Eintrittspreise zu kämpfen. Vertreter aus München berichteten aus eigener Erfahrung, dass schon jetzt nicht mehr jeder in der Lage sei, sich regelmäßig den Stadionbesuch zu leisten. Dieses Beispiel sollte Warnung sein, das Thema nicht nur halbherzig zu behandeln, sondern eine nachhaltig soziale Preisgestaltung bundesweit als eine zentrale Forderung aller Fans auszurufen. Es ist zu wünschen, dass noch mehr Fans dem Beispiel der Kampagne (www.kein-zwanni.de/) folgen und sich mit lokaler Arbeit dem grassroots-Projekt anschließen. Diese Entwicklung betrifft nicht nur Ultras, sondern alle Stadionbesucher. Es ist an der Zeit aufzustehen und gemeinsam diese Missstände aktiv zu bekämpfen.
Mehr als 90 Minuten – Ultrà und seine Facetten
In der Veranstaltung erhielten die Teilnehmer zunächst Einblicke in die soziale Arbeit von Ultras-Gruppen. Verschiedene Beispiele für karitatives und politisches Engagement wurden dem Publikum in Kurzvorträgen aufgezeigt. In der anschließenden Diskussion äußerte sich Fanprojekt-Sprecher Thomas Beckmann positiv zum Einfluss der Ultras auf Jugendliche. Diese würden „ in den Gruppen enormen Rückhalt erfahren“. Ähnlich äußerte sich Kommunikationswissenschaftler Peter Schüngel, der „die Anführer der Gruppen als moderne Erzieher“ bezeichnete. Jacob Klemm von der Initiative Hintertorperspektive beschäftigte sich mit dem Potential der Ultras-Gruppen. Wenn die Ultras es schaffen, sich ihrer Verantwortung zu stellen und Gemeinsamkeiten zu erkennen, sind sie in der Lage nicht nur im Stadion, sondern auch in der Gesellschaft etwas zu verändern. Im Weiteren wurde auch die Kommunikation der Ultras mit den Medien kontrovers diskutiert, Spiegelredakteur Rafael Buschmann forderte die Ultras dazu auf „ihre Kommunikationsstrukturen zu professionalisieren“. Er ist der Meinung: „Ohne Ultras würde der Stadionbesuch keinen Spaß machen.“
Die Chancen und Grenzen von Selbstregulierung, Freiheit und Verantwortung in den Fankurven
Der Umgang mit den Fan-Freiheiten: ein ehrlicher Dialog? Das sogenannte St. Pauli-Modell und die Pyro-Kampagne
Nach Begrüßung und Einleitung in die Thematik, berichtete Stephan Schell von der Wilden Horde Köln aus der Praxis hinsichtlich der Anmeldung und Handhabung, sowie Definition von Fanutensilien. Es kristallisierte sich ziemlich schnell heraus, dass die verschiedenen Vorgaben der Vereine hinsichtlich der Anmeldung von Fanutensilien in vielen Fällen vollkommen unverständlich sind und erwiesenermaßen für mehr Probleme sorgen als eigentlich nötig. Dabei stellt sich prinzipiell die Frage, warum eine Anmeldung von Fanutensilien überhaupt nötig ist. „Positive Fankultur benötigt eine Plattform“ so Stephan Schell. Die positiven und vor allem kreativen Impulse, die Fanszenen auf den Fußball haben können, werden durch die derzeitige Praxis erheblich erschwert. Die Idealvorstellung von ProFans liegt darin, dass sich Fankurven hinsichtlich der Utensilien frei in ihrem Fan-Dasein ausleben können. Das sogenannte „Sankt Pauli-Modell“ sieht vor, Auswärtsfans grundsätzlich alle Freiheiten einzuräumen, diese Freiheiten für zukünftige Begegnung allerdings von der Befolgung bestimmter Verhaltensvorgaben abhängig zu machen. ProFans sieht diese Praxis schlichtweg als eine Form der Erpressung an, mit der unerwünschtes Verhalten wie etwa der Einsatz von Pyro verhindert werden soll.
Die Pyro-Kampagne ist ein anschauliches Beispiel, wie Selbstregulierung und Eigenverantwortung in den Fankurven funktionieren kann. Die Fangruppen haben sich in einem Prozess der Selbstreflexion an die selbst auferlegten Regeln gehalten und mit dem Pyro-Verzicht bewiesen, welchen Einfluss sie in den Fankurven ausüben können. Die Ernsthaftigkeit und Professionalität der Kampagne hat bewiesen, dass die Fans verlässliche Gesprächspartner sind. Der DFB hat diese Chance eines Dialogs auf Augenhöhe im Sinne des gemeinsamen Interesse nicht genutzt und den dialog- und kompromissbereiten Teil der Fans, die Tür vor der Nase zu geschlagen. Hinsichtlich der ständig gegenwärtigen Diskussion über Selbstregulierung mahnte Stephan Schell: „Wenn es so weiter geht, werden die gemäßigten Stimmen in den Fanszenen irgendwann kein Gehör mehr finden.“ Im Zuge der Debatte um den Abbruch des „Pyro-Dialogs“ räumte Gerald von Gorrissen, Leiter der Fananlaufstelle des DFB, mögliche Kommunikationsfehler ein und schien auch keinen Ausweg aus dieser augenscheinlichen Sackgasse zu finden. „Ich habe derzeit ein großes Fragezeichen auf der Stirn.“ Wir bedanken uns trotzdem bei Herrn von Gorrissen, dass er spontan auf das Podium kam und sich den zahlreichen kritischen Wortbeiträgen des Publikums stellte. Es bleibt zu hoffen, dass der Dialog wieder aufgenommen wird. Das Thema Pyrotechnik kann für uns nicht einfach ad acta gelegt werden. Die Fans sind weiter gesprächsbereit, wie ein Sprecher der Kampagne „Pyrotechnik Legalisieren – Emotionen Respektieren“ deutlich betonte. Gleiches erwarten wir von den verantwortlichen Verbandsvertretern. Eine gemeinsame Lösung sollte im Sinne aller Beteiligten sein. Ein bloßer Abbruch der Gespräche, verschiebt die Problematik nur oder verschlimmert sie sogar. Festgestellt wurde von der Kampagne noch einmal öffentlich, dass ein legales Abbrennen von Pyrotechnik in Fußballstadien rechtlich möglich ist und auf lokaler Ebene an etlichen Standorten umsetzbar wäre. Einzig die ablehnende Haltung des DFB steht diesem im Weg.
Funktioniert die Verregelung und Selbstregulierung von Fangewalt? Wenn ja, wie?
Auf dem Fankongress haben sich relevante Vertreter unterschiedlichster zum Teil stark rivalisierender Gruppen zusammen gesetzt. Die Diskussion wurde von dem Politologen und Fanforscher Jonas Gabler moderiert. Dass ein Gespräch zu diesem Thema in einer solchen Konstellation zustande gekommen ist, sehen wir als Erfolg. So etwas hat es bisher noch nicht gegeben. Wir sind uns sicher, dass der Inhalt dieses Gesprächs in die einzelnen Gruppen getragen und die Diskussion dort fortgesetzt wird.
Identifikation der Fans mit dem Verein in Zeiten des „modernen Fußballs“
Das Engagement von Fans für den Erhalt der Vereinsidentität
Im ersten Teil der Themenreihe hörte man gespannt den Vorträgen der Fanszenen Stuttgart, Union Berlin und Nürnberg zu, wie sich diese Vereine um den Erhalt der Werte und Traditionen ihres Vereins einsetzen und auf welche Schwierigkeiten sie dabei trafen und auch immer noch treffen. Im Anschluss an die Vorträge kamen aus dem gut gefüllten Auditorium Fragen an die Vortragenden. So berichtete Oliver Schaal (Commando Cannstatt 97) davon, dass sein Verein der VfB Stuttgart auf Initiative von Commando Cannstatt eine Möglichkeit gefunden hat, trotz der Forderung nach Sitzplätzen im ganzen Stadion für internationale Spiele, in der Cannstatter Kurve Stehplätze zu erhalten. Dazu wurde ein spezieller Sitz geschaffen, der beides ermöglicht. Holger Keye (Wuhlesyndikat) erklärte das Selbstverständnis der Union-Fans in Bezug auf ihre Kultur dahingehend, dass man nach dem Motto handele, dass man gemeinsam alles schaffen kann, wenn man es nur wolle. Als prominentes Beispiel hat er hierzu den Umbau des Stadion „An der Alten Försterei“ genauer erläutert, welches als das Heiligtum des Vereins gilt. Aus Nürnberg berichteten Julius und Flo (Ultras Nürnberg) über den aktuellen Stand ihrer Kampagne zur Umbenennung des Stadions nach Max Morlock. Hierbei ist hervorzuheben, dass es aus ihrer Sicht zielführend sein kann, dass ähnlich geartete Kampagnen zum Erhalt von Werten und Traditionen in ihrer Außendarstellung nicht allein auf die Ultras-Gruppen referieren. So entgeht man der Gefahr, dass Aktionen der Gruppe auf die Kampagne selbst bezogen werden, sie wirken so autonomer. Die genannten Beispiele sind nur einige von vielen, die belegen wie wichtig für die Identifikation der Fans mit ihren Vereinen eine Vereinsidentität ist, die die Fans mitgestalten und erhalten.
Identifizieren sich junge Fans zunehmend über die Fankurve? Wie verändert sich das Fansein?
In der zweiten Veranstaltung zu diesem Thema hatte man zu einer Podiumsdiskussion einige Vertreter verschiedener Vereine und mit unterschiedlichem Fan-Hintergrund eingeladen. Diese diskutierten angeregt über die Frage, ob sich Fans heutzutage mehr mit der Kurve als mit dem Verein identifizieren, auch in Hinblick auf frühere Zeiten. Es herrschte hier schnell Einigkeit, dass es im Laufe der Jahre keine grundlegenden Veränderungen gegeben habe, da der sportliche Erfolg nur bedingt im Vordergrund bei der Wahl des Vereins steht.
Im Verlauf der Diskussion, an der auch das Auditorium rege teilnahm, zeigte sich die Vielfältigkeit der Fankulturen in Deutschland und auch die Vielschichtigkeit des Themas selbst. Jeder Verein hat spezifische identifikationsstiftende Merkmale, die es zu erhalten und an die jüngere Generation weiterzugeben gilt. Es wurde von mehreren Teilnehmern darauf hingewiesen, ja fast gefordert, dass die Fans sich in ihren Vereinen entsprechend engagieren sollen, um die eigenen Werte und Traditionen zu erhalten. Des Weiteren waren sich alle einig, dass auch eine überregionale Zusammenarbeit der Fanszenen wichtig ist, da man sich nur gemeinsam für den Erhalt der Fankultur stark machen könne. Volker Goll (Offenbach) fasste das Thema treffend zusammen: „Fans schaffen die Identifikation des Vereins, sie müssen hier nur noch selbstbewusster sein und entsprechend auftreten im Umgang mit dem Verein, da diese den Fans eigentlich dankbar sein müssten, dass wir in Deutschland noch eine kreative und engagierte Kultur haben.“
Wie schaut der Fußball in der Zukunft aus und welche Rolle spielen die Fans dabei?
Welche Möglichkeiten der Mitsprache haben Fans in ihrem Verein und ist die 50+1-Regel dafür wichtig
In der Veranstaltung beschäftigten sich die Referenten mit den Fragen, welche Möglichkeiten der Mitsprache Fans in ihren Vereinen haben und ob die 50 + 1 Regel dafür wichtig ist. Zu Beginn der Diskussion gewährte Jens Wagner vom Supporters Club des Hamburger Sportvereins den Zuhörern einen Einblick in die Strukturen und langjährige Arbeit an der Basis des Vereins. Darauffolgend erklärte Martin Kind, der Präsident von Hannover 96, seine Beweggründe für die Aufweichung der „50+1“-Regel. Mit seinen Ausführungen stieß er bei Fananwalt René Lau auf Widerstand. Die „50+1“-Regel sichert den Einfluss der eigentlichen Vereine mit ihren Mitgliedern und Institutionen und verhindert, dass Investoren die Kontrolle über die Vereine übernehmen. Lau sprach sich klar für die „50+1“-Regel aus und präsentierte die juristische Dimension der Regel. Lau rief die Fans auf: „Werdet Mitglied in euren Vereinen und nehmt euer Stimmrecht wahr, damit in Deutschland keine englischen Verhältnisse möglich werden“. Nur diese Form der Partizipation am Vereinsleben sichert auf Dauer den Einfluss der Fans in den Vereinen und verhindert, dass Investoren die Kluft zwischen Profi-Fußball und Fanbasis weiter vergrößern. Im Anschluss betonte Robert Pohl, Vertreter der Fanorganisation „Unsere Kurve“, dass nicht die Sponsoren sondern die Fans das wahre Kapital der Vereine seien.
‘Rechtsfreier Raum’ Stadion?
Wie steht es um den Datenschutz? Was können wir Fans tun?
Der Umgang mit den Daten von Fans durch Vereine und Verbände aber auch durch die Polizei und andere Ermittlungsbehörden ist in vielen Punkten mehr als bedenklich. Die Fananwältin Angela Furmaniak lieferte einen Überblick über die Thematik und verdeutlichte dessen Bedeutung. Die Arbeit von drei Initiativen zeigte den Teilnehmern auf, wie sie sich bei diesem Thema für ihre Rechte einsetzen können. Eine Initiative baden-württembergischer Fangruppen hat sich mit einer Datei sogenannter „Szenekundiger Beamter“ über angebliche Problemfans befasst. In der sogenannten SKB-Datenbank speichern „Szenekundige Beamte“ unter anderem folgendes über Fans: Lichtbild, eventuelle aktuelle oder vergangene Stadionverbote, Einträge in die Datei „Gewalttäter Sport“, mutmaßliche Gruppenzugehörigkeit, Kfz-Kennzeichen, Arbeitgeber und ein Freifeld für personenbezogene Einträge sowie eine „Fan-Vita“. Die erfassten Daten sind sowohl was Umfang, Rechtmäßigkeit und Korrektheit angeht problematisch. Der Zusammenschluss aller relevanten Ultras-Gruppen aus Baden-Württemberg holte die Machenschaften ans Licht und schaffte Transparenz, was für eine Löschung vieler nicht korrekter oder unrechtmäßiger Daten sorgte. Die Ultras Hannover entwickelten ein Formular und stellten dies anderen Fans zur Verfügung, mit dem die Löschung von bei Massen-Personalienfeststellungen erhobenen Daten erfolgreich erreicht werden kann. Die Initiative „Fananwälte“ beschäftigt sich nun verstärkt mit der Frage, inwieweit die Datenweitergabe zwischen privatrechtlichen Vereinen und Ermittlungsbehörden rechtmäßig ist. In diesem Bereich sehen sie viel Handlungsbedarf. Nur durch zivilgesellschaftliche Kontrolle sei eine ausuferende und halblegale Praxis einzudämmen. Sie empfehlen Datenspeicherung und daraus resultierende Maßnahmen wie Ausreiseverbote oder Meldeauflagen immer, zur Not verwaltungsrechtlich, zu hinterfragen. Der Fananwalt Frank Hatlè ist der Meinung: „Stadionverbote als Privatisierung des Gefahrenabwehrrechts sind bedenklich.“ Angela Furmaniak resümiert: „Wie weit sind wir, dass es reicht, Fußballfan zu sein, um einem breiten Spektrum an Einschränkungen der Grundrechte ausgesetzt zu sein.“
Wir waren im Stadion und haben es überlebt!
Die sich überschlagenden Medienmeldungen der letzten Wochen suggerierten, dass in den Stadien ein immer größer werdendes Gewaltproblem vorhanden wäre, wegen dem sogar vor „Lebensgefahr“ zu warnen sei. Tatsächlich – und das bestätigen sogar die Zahlen der ZIS – ist es in den Stadion sehr sicher. „Zur Versachlichung: Mehr als 17,5 Millionen Menschen haben in der Saison 2010/2011 die Spiele der ersten und zweiten Bundesliga besucht. Nach Statistiken der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei wurden dabei 846 Personen verletzt, gegen 5.818 wurden Strafverfahren eingeleitet. Zur Verdeutlichung: Das entspricht einem Anteil von rund 0,005 Prozent beziehungsweise 0,033 Prozent.“ (aus dem Artikel: „Wir waren beim Fußball und haben es überlebt“ auf Schwatzgelb.de) Viele der in der Statistik aufgeführten Verletzten sind auf unverhältnismäßige Polizeieinsätze zurückzuführen. Gerade die mangelnde Aufklärung von Polizeigewalt ist hier – auch nach den Beobachtungen von Alexander Bosch von Amnesty International – höchst problematisch. „Ich hätte mir gewünscht, heute hier auch mit der Polizei reden zu können.“ Diese hatte am Donnerstag, nur zwei Tage vor dem Kongress, die Teilnahme an dieser Podiumsdiskussion wieder abgesagt. „Hier sitzen Fans, die reichen die Hand zum Dialog aber sie greifen ins Leere.“ kommentiert Stefan Minden, von der Initiative Fananwälte. Entsprechend einvernehmlich war die Diskussion und das eigentlich wichtige Thema konnte nicht angemessen dargelegt werden. Dabei hatten sich die Diskussionsteilnehmer auf eine kontroverse Diskussion eingestellt. Matthias Stein, Sprecher der BAG, geht seit den 1970ern zum Fußball und hat sich immer sicher gefühlt. Statt einer interessanten Diskussion darüber, ob es in den Stadien wirklich so gefährlich ist oder manche Medien die Situation aufbauschen und jeglichen differenzierten Blick vermissen lassen, blieb den Referenten Zeit auszuschweifen. „Vor 20 Jahren wäre eine solche Diskussionsrunde so nicht möglich gewesen. Das ist ein Erfolg.“ so Jens Volke, langjähriger Fanaktivist und heute Fanbeauftragter von Borussia Dortmund.
Blick über den Tellerand ins Europäische Ausland
Am Sonntag folgte der Blick über den Tellerrand auf die Situation in anderen Ländern. So berichtete Emilio Abejón von der spanischen Fanorganisation FASFE über die Situation der Fans in Spanien bezüglich Anstoßzeiten und Stadionverbote. Dieses endete in einer munteren Diskussion, in der sich gegenseitig Ratschläge und Tipps gegeben wurden. Michael Brunskill von der englischen Fanorganisation FSF erzählte von der Entwicklung in England vor allem in Hinblick auf die gestiegenen Eintrittspreise. Oftmals kostet dort die billigste Eintrittskarte bereits 60 Euro. Kai Tippmann gab Einblicke in das Leben der Ultras in Italien und ergänzte: „Ein Fankongress wäre in Italien nicht möglich gewesen. Die hätten den Bahnhof abgefackelt und der Kongress wäre beendet.“ Mit Spannung erwartet wurde der Bericht von Arne Christian Eggen aus Norwegen, der über das dortige Pyrotechnik-Modell sprach. In Norwegen haben die Fans das Vertrauen vom Verband und der Polizei bekommen und dürfen unter bestimmten Vorgaben in ihren Fanszenen Pyrotechnik zünden. Dieses Modell ist sehr erfolgreich und ein Gewinn für alle beteiligten Parteien. Auch Antonia Hagemann hatte spannende Infos mitgebracht von der Arbeit von Supporters Direct, die Fans – seit einiger Zeit auch außerhalb Englands – dabei unterstützen, Einfluss in ihren Vereinen zu nehmen oder auch ganz neue Vereine aufzubauen. Bei der letzten Veranstaltung diskutierten Manuel Marcos (Liberté por les Abonnés), Lorenzo Contucci (MyRoma), Patrick Verstphal aus Kopenhagen (Alpha Brøndby), Burak Berkol (1907 ÜNIFEB), Umar Fredericks (Green Brigade Glasgow) sowie Pascal Claude (Journalist) unter dem Motto „Eine Rundereise durch das Europa der Repression“ und gaben interessante und spannende Einblicke in ihren Alltag als Fans.
Wir möchten uns an dieser Stelle noch einmal explizit bei den internationalen Referenten bedanken. „Wir sind alle hier zum Lernen!“ äußerte Holger Hieronymus auf dem Fankongress. Was bietet uns dafür mehr Gelegenheit als die Situation in anderen Ländern.
Aber nicht nur bei den ausländischen Referenten wollen wir uns bedanken, wie auch schon geschrieben, natürlich gilt unser Dank allen Referenten an diesen beiden Tagen sowie auch den Teilnehmern, den Pressevertretern, den Moderatoren und allen weiteren, die zu diesem gelungenen Fankongress beigetragen haben.
Wir hoffen, dass unsere Bereitschaft zu diskutieren, analysieren, reflektieren und Lösungen zu erarbeiten, nicht ins Leere läuft und nun auch seitens der Verbände auf deren getätigten Worte auch Taten folgen.
Zum Erhalt der Fankultur!
ProFans im Januar 2012