„Wenn Du Dir nichts hast zu Schulden kommen lassen, ist das schon kein Problem!“ ist wohl die vorherrschende Meinung zu den Überwachungsmaßnahmen. Denn wer nichts getan hat, wird in diesem Land auch nicht überwacht.
Was aber passiert, wenn man trotzdem in einem der Raster der Polizei hängen bleibt? So wie 100.000e von islamisch-gläubigen Menschen nach dem 11. September in den USA? Ist es dann immer noch okay, überwacht zu werden? Oder gilt das etwa nur, solange man selbst nicht davon betroffen ist?
In so einem Raster bleibt man manchmal schneller hängen als man denkt. Da wäre zum Beispiel der ganz normale Fußballfan – in dem Moment, in dem Fan XY mit einem Vereinsschal am Bahnhof ankommt, ist bereits die Polizei auf dem Plan. Abgrenzung von „normalen“ Reisenden und Sondergeleit aus dem Bahnhof ist für die Polizisten oft die einzig vorstellbare Vorgehensweise. Aber es geht auch extremer: Vor der Partie Saarbrücken – Dresden (März 2005) wurden von der Polizei explizit „unauffällig aussehende Mädchen“ aus den, das Stadion betretenden, Massen herausgezogen und in einem (von außen einsehbaren) Zelt durchsucht. Die Mädchen mussten sich dort komplett ausziehen. Dass bei dieser Aktion keinerlei sicherheitsgefährdende Gegenstände gefunden wurden, braucht wohl nicht weiter erwähnt zu werden… Sollte man wirklich ein 16-jähriges Mädchen kriminalisieren, weil es jung, unauffällig und Dresden-Fan ist? Offensichtlich schon, das Landgericht Saarlouis hat in 1. Instanz die Vorgehensweise der Polizei bestätigt. In der 2. Instanz gab das Oberlandesgericht dem Mädchen Recht.
Wie schon erwähnt bleiben Fußballfans häufig in den Rastern der Polizei hängen. Dies gilt insbesondere für organisierte Fangruppen – wie die Ultras. „Wer sich in Gefahr begibt, hat selber Schuld!“ heißt es im Volksmund ja so schön. Heißt das also in der Konsequenz, man solle sich denn – wenn man schon unbedingt Fußballfan sein muss – auf gar keinen Fall zu einer Gruppe zusammenschließen? Es stimmt schon – in größeren Gruppen kommt es gerne mal vor, dass sich zwei bis drei nicht an allgemeingültigen Regeln halten, aber muss man dafür gleich die ganze Gruppe in Sippenhaft nehmen?
Ein Beispiel: Vor einigen Jahren wurde Oliver Kahn wegen mehrfacher Geschwindigkeitsüberschreitung für zwei Monate der Führerschein entzogen. Dieser Fall sorgte zwar für einigen Rummel, aber es wurde nie auch nur in Erwägung gezogen, allen anderen Spielern von Bayern München präventiv auch gleich den Führerschein abzunehmen. Fußballfans an sich scheinen allerdings brandgefährlich zu sein. Warum sonst wurden sie im Vorfeld der WM 2006 in einem Atemzug mit drohenden Terroristen genannt?
Kleine Randinformation: Während der zwei Wochen des jährlichen Oktoberfestes werden mehr Straftaten begangen als in einer kompletten Bundesliga-Saison (Hat schon irgendjemand was davon gehört, dass Oktoberfestbesucher nach Bundesländern getrennt und eingekesselt werden? Sind sie Polizei-Repression ausgesetzt oder gibt es vielleicht eine Datei Gewalttäter Oktoberfest? Nein! Nein! Und nochmals: Nein!).
Aber zurück zum Thema – die Überwachung der Ultras: Die Polizei hat jemanden „bemerkt“, nicht etwa, weil diese Person sich etwas zu Schulden kommen lassen hat, sondern weil sie als „Zugehöriger einer Ultra-Gruppierung“ im Raster hängen geblieben ist. Konsequenz: Die lokale Polizei speichert Personalien und Fotos. Wie sie an diese Daten gekommen sind, weiß oft kein Mensch. Die so genannten SKBs (Szenekundige Beamte) erforschen die jeweilige Fanszene ganz genau. Sie wollen mehr wissen als nur Namen, Adressen und Personenbeschreibungen – ein vollständiges Profil der gesamten Fanszene ist erwünscht. Dafür sind natürlich nicht nur potentielle Gewalttäter, bzw. jene, die die Polizei dafür hält, gefragt, sondern auch deren komplettes Umfeld. Die Überwachung von Fußballfans findet daher großflächig statt.
Zurück zur Überwachung der Fußballfans im Allgemeinen: Man sitzt beispielsweise abends, in der Woche, an einem fußballfreien Tag vor der Kneipe und gegenüber steht ein Polizeiwagen. Man denkt sich zwar „Ach, die sind bestimmt nicht meinetwegen hier“, fühlt sich aber dennoch nicht wohl. Wem kann man es verdenken, wenn man nicht beim Trinken beobachtet werden will; nicht von Fremden und somit schon gar nicht von der Polizei. Wenn im „normalen“ Leben jemand ununterbrochen beobachtet und auf Tritt und Schritt verfolgt wird, würde man wohl irgendwann die Polizei einschalten und Anzeige wegen Stalking erstatten. Was aber, wenn die Polizei selbst dieser penetrante Verfolger ist? „Irgendwas wird diese Person schon gemacht haben“ denken sich viele nun. Nein, nicht zwingend. Auf die betroffene Person passt lediglich eine Kategorisierung, die sich irgendwelche „findigen“ Beamten – vielleicht sogar an einem langweiligen, verregneten Tag – am Schreibtisch ausgedacht haben. Oder wie kommt es zustande, dass 16-jährige, unscheinbare Mädchen durch Komplett-Entkleidung gedemütigt werden?
Wir würden gerne wissen, wie Du Dich fühlen würdest, wenn Du an einem Spieltag von morgens bis abends überwacht wirst. Du hast bestimmt nichts zu verbergen, daher sollte es ja kein Problem für Dich sein. Stell Dir einen ganz normalen Fußballtag vor. Hier ein paar Denkhilfen:
- Am Gleis, an dem der Zug zum Auswärtsspiel steht, warten SKBs und notieren sich, wer so alles mitfährt – auch Du bist dabei.
- Im Zug stehen neben Dir Bundesgrenzschutzbeamte (BGS) und hören jedes Wort, das Du sagst, mit.
- Auf dem Weg vom Bahnhof zum Stadion fährt ein Kamerawagen von der Polizei vorne weg. Du wirst auf dem gesamten Fußmarsch gefilmt.
- Das Stadion ist komplett kameraüberwacht, der Gästeblock wurde besonders stark ausgerüstet. Kein Jubel, kein Gepöbel und auch nicht das 3. Bier bleiben unentdeckt.
- Nach der Rückfahrt im Zug kennen die BGS-Beamten, die schon bei der Hinfahrt neben Dir standen, nun Dein halbes Leben.
- In Deiner Heimatstadt angekommen, willst Du irgendwie nur noch weg. Weg von den BGSlern, weg von den SKBs, weg von den Kameras – Dich einfach mal wieder frei bewegen und reden, ohne dass „jemand anderes“ es mitbekommt.
Das hört sich vielleicht alles sehr konstruiert an, aber: Das ist für viele Fans in Deutschland Woche für Woche Alltag. Kein schönes Gefühl, oder? Vor allem dann nicht, wenn kein Ende in Sicht ist. Du weißt genau, das nächste Spiel Deines Vereins kommt, Du bist dabei und alles fängt wieder von vorne an. Auch wenn man nichts zu verbergen hat, fühlt man sich unwohl, wenn man überwacht wird. Es gibt wohl niemanden, der den Gedanken daran, bei privaten Telefongesprächen abgehört zu werden, nicht erschreckend findet. Auch die Vorstellung, dass jemand Fremdes haarklein notiert, was man im Restaurant isst und trinkt ist unangenehm. Fußballfans werden viele Bürgerrechte abgesprochen, der Verlust der Privatsphäre ist Teil davon. Das Tragische daran ist, dass man diesen Maßnahmen machtlos gegenübersteht – jedenfalls dann, wenn man eine von eben jenen Personen ist, für die Fußball mehr als 90 Minuten Spiel bedeutet und/oder wenn einem die Arbeit für seine Fanszene am Herzen liegt. Trotz weißer Weste ist das Ausscheiden aus der aktiven Fanszene die einzig wirksame Möglichkeit, dem stetig wiederkehrenden Überwachungsalbtraum zu entrinnen. Das allerdings würde bedeuten, sich nicht nur von einem Hobby, sondern seinem Freundeskreis, einem großen Teil des Lebens und des Herzens zu verabschieden. Und warum sollte man das alles von jemandem erwarten, der sich de facto nichts hat zu Schulden kommen lassen?
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“Stand: Juni 2009″